Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Angelika Mann & Band – das Goodbye-Konzert in Berlin 05.11.2022 Die Reifen singen ein Pistenlied, doch die Gedanken sind weit voraus, beim „Erinnern an die Zukunft“. Im April 1979 konnte ich doch nicht ahnen, dass ich knapp 45 Jahre später noch einmal die „Lütte“ im Konzert erleben möchte und die sich sogar auf meinen Besuch freut. Es hat sich in den letzten Jahren so ergeben und jenes Konzert 1979, auf „meiner“ Bühne in Plessa ( HIER ), war stets das Bindeglied zu Events der „Lütten“, die ich in den nachfolgenden Jahren immer wieder mal besuchte. Beide hatten wir stets einen Aufhänger, uns zu erinnern und doch im Heute zu sein: beim Schauspiel mit Herbert Köfer und Dorit Gäbler, beim Frauentag in Coswig ( HIER ) sowie dem Konzert in den Unterirdischen Welten und auch bei Semper Fidelis für Cäsar im Anker. Zuletzt trafen wir uns anlässlich „70 Jahre Amiga“ in Bernburg ( HIER ). Als ganz besonderes Souvenir aus jenen frühen ’79er Tagen habe ich heute ein Poster dabei, mit dem es eine besondere Bewandtnis hat. Neu-Helgoland: So mache Geschichte hörte ich über Konzerte im Haus am Ufer der Müggelspree. Eins jener Ereignisse, in Erinnerung an Henry Kotowski, habe ich selbst erleben dürfen ( HIER ). Zwei Jahre später weile ich wieder hier. Wir beziehen eines der Zimmer hinter ungezählten Türen, treffen Freunde, ehe das große Ereignis beginnt. Ich entdecke bekannte Gesichter, sehe Prominente und als es dunkel wird im Saal, ist die Hütte brechend voll, ausverkauft Hallelujah. Wie habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut und dann kracht dieser aufpeitschende Rhythmus von der Rampe, aufgenommen von Händen und einigen stampfenden Füßen: „We will, we will rock you“, schmettert die Lütte in unsere Gesichter. Wir jubeln ihr begeistert zu und auch mein Körper, voll mit Adrenalin, reißt beide Arme in die Höhe. In den ausklingenden Beifall hinein knallt ein forztrockenes Riff ins Areal der Tische und Stühle: „(I’m On The) Highway To Hell“! Kann ja sein, dass es für die Lütte manchmal wie eine Achterbahnfahrt auf der Schnellstraße des Lebens war. Von Mugge zu Mugge, vom Medoc bis Obelisk, von Ost nach West, von Lenz, über Krug bis Lakomy, von der „Melodie“ in Berlin auf die Theaterbretter dieses Landes. Sie steht auf der Bühne im roten Licht und rockt den Starkstromklassiker gegen die Glasscheiben. Was für ein fulminanter Start, der alle Anspannung in pure Energie verwandelt. Der kleinen Großen ist die pure Freude ins Gesicht geschrieben, als sie die Gäste im Saal begrüßt und in Anspielung auf ihre aktuelle Haartracht an „Tante Vroni aus Arnstadt“ erinnert. Sie nimmt es, wie man es am besten tut, mit dem ihr eigenen schelmischen Humor. Gut so. Angelika’s musikalische Reise durch die eigene Vita beginnt mit der Frage“ Was treibt mich nur (immer wieder zu singen?)“. Während ich ihr zuhören, denke ich, dass es die pure Lust ist, anderen Freude zu bereiten, selbst in die Melodien, den Sound und dessen Lyrik einzutauchen. So wie ich es als Zuhörer auch gern mache. Bevor das nächste Lied erklingt, erzählt die Lütte aus dem Lebenslauf und auch von ihrer Tochter „Baby-Sehr“, jedoch den Part muss man schon selbst gehört haben. „Ich wünsch’ mir ein Baby sehr“ ist dann (nur noch) der Punkt auf’s i dieser Geschichte. Einfach wundervoll zu hören und mitzusingen, wie ein Kinderlied für Erwachsene. Was wir heute live erleben, ist nicht einfach eines der ohnehin seltenen Konzerte von Angelika Mann. Dies ist ihr vorletztes vor quasi heimischem Publikum. Zu diesem besonderen Anlass findet sich eine besondere Besetzung auf der Bühne. Aus legendären Obelisk-Zeiten sitzt heute noch einmal Andreas Bicking als Bandleader an den Tasten (und direkt vor mir) sowie Udo Weidemüller, dieser exzellente Gitarrist und „Baby-Sehr-Vater“ von Ulrike Weidemüller. Die steht als Gesangspartnerin der Mama auf der Bühne. Gemeinsam singen sie die alte Geschichte der „Sieben Zwerge“, die der Lütten einst Gjon Delhusa auf den Leib schrieb: „Ach, du lieber Himmel, wär’ das ein Gewimmel, jede Nacht in meinem Bett“ noch Fragen zum unverklemmten Sprachumgang damals (und ganz ohne „Dschenderei“)!? Ich liebe das Lied und wie viele andere im Saal singe ich einfach mit. Wer Angelika Mann sagt, meint auch „Traumzauberbaum“ und Lacky’s „Geschichtenlieder“. Da dürfen also weder das „Küsschenlied“, noch das von der „Dicken Regenwolke“ und nicht das der „Katze Mary Lou“ fehlen. Die Lütte demonstriert nebenbei, dass sie auch Jazz-Gesang kann. Soul und Jazz klingen auch dezent in „Auf einmal“ an und mit der Vorgeschichte zum Festival „Goldener Orpheus“, inklusive der Schuluniformen in schwarz plus weißem Kragen, reißt sie uns zu Lachsalven hin. Gemeinsam mit Tochter Ulrike hören wir eben diesen Festivalbeitrag „Behalt mich lieb“ noch einmal. Ich bin glücklich, außerdem köstlich amüsiert, wie Angelika zwischen den Liedern manch „großen“ Moderator nebenbei zeigt, wie es auch gehen kann. Wer’s hat, der kann und macht’s dann auch! Die einen krönten jenen „Schwanenkönig“ zum Hit, andere wählten sich eine „Jugendliebe“ und mich berührt eben die Geschichte von „Kutte“. Der vertrackte Rhythmus, die Dynamik der Musik und diese unbändige Kraft in der Stimme der Lütten, bis hin zur Verzweiflung, haben mir seit vielen Jahren sehr intensive Momente beschert. „Kutte“ würde ich mit auf die einsame Insel nehmen und als sie diesen Typen auf der Bühne wieder zum Leben erweckt, bin ich weg und alle, leide und liebe mit. Gnadenlos unterschätzt und einfach höllisch gut ist dieser Song. Weil Rockmusik „Made in GDR“ eben nicht nur von Liebe, Herz und Schmerz trällerte, sondern auch von Typen, wie diesen „Kutte“ erzählte. Allein für diese Live-Nummer hätte es sich gelohnt, hier zu sein. Danke Angelika! Franz Bartzsch schrieb einst das zauberhafte Lied von der „Nachtigall“ und sang es mit 4PS. Heute ist es Ulrike Weidemüller, die uns den Gänsehautmoment zaubert. Plötzlich spüre ich wieder die filigrane Melancholie und zerbrechliche Schönheit der Lyrik, die wir hatten, die auch mein Leben prägte. Darin spiegeln sich Erinnerungen an gelebte Stunden, an Begegnungen und Gefühlsmomente, die wir mit diesen Liedern verbinden. Doch was wären die Stimmen ohne die Bands, ohne die Musikanten, die sie tragen und kleiden? Also lässt die Sängerin Raum für die Solisten der Band. Die toben sich beim „Cold Duck Time“, einem vom Jazz inspirierten frühen (Rock)Klassiker, von Eddie Harris aus. Minuten zum Hören, zum Genießen, zum Staunen und für die Begeisterung nach jedem neuen Solo. Mich fasziniert, wie Andreas Bicking sein Saxophon zum Swingen bringt, wie er nacheinander Uwe Matschke an den Tasten, den Saitenzauberer Udo Weidemüller, Richard „Richi“ Müller am Bass und Stephan „Steppel“ Salewski hinter den Becken und Fellen in diese Nummer einbindet, sie zu einem furiosen Ende bringt. Es ist traumhaft schön und einfach mitreißend. Chapeau, meine Herren, das fetzt und rockt! Als wäre das nicht schon der Hammer, reißt sich die Lütte jetzt auch noch „Oh Darling“, die grandiose Beatles-Nummer, aus der Seele. Ihre Stimme zerschneidet die stickige Luft im Saal und beschert uns einen Wow-Effekt. Der Beatles-Fan in mir könnte vor Freude heulen. Pause, ich muss raus an die frische Luft. Minuten später steht sie allein im grellen Spot vor dunklem Hintergrund. Sie plaudert, dabei gleitet sie in die Rolle der Putzfrau Traudl Hohlbichler. Ich fühle mich ertappt bei „Der Bauch muss weg“ und wie die Lütte sich dabei selbst auf die Schippe nimmt - „Friß’ alles und tu so als wär’ nüscht–Diät“ das ist schlicht köstlich. Auch wie sie dem Wunsch, auf der Bühne endlich die „Mary Stuart“ geben zu dürfen, Ausdruck verleiht, macht sie zu einer Großen des Genres. Für Minuten spielt sie sich in einen Rausch, den Uwe Matschke an den Tasten dezent, aber grandios begleitet. Mann oh Mann, was hat die Mann für eine Bandbreite zu bieten und auf welch hohem Level spult sie das alles locker und flockig ab - ein Traum, eine Offenbarung für die Augen und Balsam für die Ohren. Dieses Aufgehen im Spiel sowie im Gesang auf der Bühne, man kann es förmlich spüren, fühlen und aufsaugen. Ganz großes Kino! Wenn es am schönsten ist … kommt „Schnee und Erde“. Diese wunderschöne Melodie schrieb Andreas Bicking 1985 für die Stern Combo Meissen. Auf dem Höhepunkt des Abends singt er noch einmal mit Ulrike von der „Zeit jeder Zweisamkeit und was bleibt, nicht bleibt“. Da bin ich gedanklich wieder bei „Kutte“ und jenem Liedgut, das umgangssprachlich „Ostrock“ genannt wird und doch viel, viel mehr ist ein Lebensgefühl, mein ganz persönliches Empfinden. Angelika Mann ist eine der Repräsentanten, eine Künstlerin, die diese Musik lebt und beim (fast) letzten Bandkonzert heute dafür gefeiert wird. Dass dieser Abend hier im Neu-Helgoland stattfinden kann, haben wir Ralf „Ralli“ Rasch zu verdanken. Bei ihrem MANN, bedankt sich die Lütte mit einem Song der Beach Boys. „Sail On, Sailor“ aus dem Album „Holland“, diese Band rockt den Saal noch einmal ordentlich durch und lässt dann als Finale „This Will Be“ folgen. Standing Ovations, Pfiffe, Blumen und eine überglückliche Angelika Mann plus Band auf der Bühne. Emotionen pur im jubelnden Saal und was noch? Natürlich „Mercedes Benz“, was denn sonst! Was für ein Abend zum Abschluss einer grandiosen Band-Karriere! Dass sie „uffjeregt“ sei, wie sie uns vor dem Konzert flüsterte, war nicht zu spüren. Der Abend hat einfach noch einmal angedeutet, was für eine Powerfrau „Die Mann“ ist, welches Wahnsinnsspektrum sie künstlerisch abdeckt und wie pudelwohl sie sich dabei offensichtlich fühlt. Das macht ihr keiner und auch keine nach - tiefe Verbeugung und Hochachtung. Das Konzert ist vorüber, die Emotionen glühen nach und Gratulanten gratulieren. Irgendwann sitze auch ich der Lütten gegenüber. Wir verstehen uns auch wortlos und so freut sie sich über jenes alte Poster, das sie selbst nicht mehr besaß. Mein eigenes bekommt eine zweite Signatur mit Datum und ich ein Lächeln. Solche Konzerte und der Small Talk danach werden mir und sicher vielen Fans fehlen. DANKE für diesen wundervollen Abend, liebe Angelika, und DANKE lieber „Ralli“, für das Ereignis. Die Erinnerung daran werden wir mit nach Hause nehmen, bewahren und bei Bedarf wieder herausholen. Nachtrag: Es war ein Erleben unter Freunden mit überraschenden Begegnungen. Herzliche Grüße an Sabine und die Truppe sowie Danke für alles. Gruß auch an Dörthe und Karsten sowie Rülü für’s Wiedersehen und Quasseln. Dankeschön dem Team vom Neu-Helgoland für das perfekte Drumherum. Grüße außerdem an Grit sowie an den Altenburger Frühstückstisch und das Geburtstagkind im Braunsdorfer Wald .